Wie lange ist es her, dass ihr das Grossmünster zum letzten Mal besucht habt? Falls ihr noch einen Grund braucht, um die Zürcher Kathedrale zu besuchen – abgesehen von seiner Schönheit und seinen beeindruckenden Aussichten – habt ihr hier den definitiven: In der Krypta der Kirche gibt es eine Lichtinstallation, die nur noch bis Ende des Monats läuft.
Unter dem Titel «Wars, Societies and Neon» (Kriege, Gesellschaften und Neon) hat die Waliser Künstlerin Bethan Huws eine ortsspezifische Ausstellung geschaffen, mit der sie tiefgreifende Überlegungen zu Gewalt und Geschichte anstellt – und gleichzeitig eine Hommage an den künstlerischen Stil der hundertjährigen Kirche darstellt. Huws ist eine landesweit anerkannte Objektkünstlerin, deren Arbeiten in zahlreichen Einzelausstellungen in Kunstmuseen gewürdigt wurden.
Mittelalterliche Reliefs in Neon
Ihre neueste Lichtinstallation besteht aus fünf Teilen, in denen verschiedene mittelalterliche Motive – in Anlehnung an Malereien, die sich in der Kirche selbst und ihrem Kreuzgang befinden – in Neon dargestellt werden. So begegnen wir der spätgotischen Sitzfigur Karls des Grossen ebenso wie den Wandmalereien mit Szenen aus dem Leben der Heiligen Felix und Regula aus dem späten 15. Jahrhundert in einem völlig neuen Licht.
Aber abgesehen von der Ausschmückung der Krypta – die ansonsten in Dunkelheit getaucht ist – zeigt die Ausstellung Szenen von Gewalt und Natur, die zum Erstaunen des Besuchers auch in unserer Zeit ein Echo finden. Auf einem der Reliefs sind sechs männliche Personen zu sehen, von denen das mittlere Paar in einen Zweikampf verwickelt zu sein scheint, während die Nebenfiguren einen nüchternen Abstand halten. Diese Darstellung ist dem sogenannten Guido-Relief an der Treppe des Südportals des Grossmünsters entnommen. Andere Szenen zeigen Tierfiguren (Affen, ein Kaninchen und ein Löwe) und ein Menschen-verschlingendes Ungeheuer.
Und wie bereits erwähnt, ist das, was eindeutig als Hommage an die mittelalterliche Kunst und Malerei gedacht ist, auch eine Einladung zum Nachdenken über wiederkehrende Themen, wie zum Beispiel Gewalt. Die Reproduktion von bis zu 800 Jahre alten Reliefs in Neonlicht ist nicht nur eine zufällige Entscheidung von Huw: Die Gewalt im finsteren Mittelalter unterscheidet sich nicht sehr von der Gewalt im Zeitalter der Elektrizität.
Wenn aber diese tiefen Reflexionen euch nichts sagen, habt ihr immer noch die Möglichkeit, einen Teil des Grossmünsters so zu erleben, wie ihr es noch nie zuvor getan habt: im hypnotischen Licht des Neons. Die Ausstellung läuft bis zum 27. Februar 2022. Öffnungszeiten des Grossmünsters gehen täglich von 10:00 bis 17:00 Uhr.